German translation

rudo spemann

© Christopher Haanes, 2005.

This text was written in connection with the publication
‘Der Klang in der Schrift’, published by the Klingspor Museum, Offenbach, commemorating his100th birthday in 2005.

Born in Würzburg in 1903, Rudo Spemann died in 1947 in Schepetowka, USSR. He studied at the Kunstgewerbeschule in Munich under F. H. Ehmcke and Emil Preetorius and at the Kunstakademie in Stuttgart under F. H. E. Schneidler.

 

 

Die britische Schrifttradition, in der ich stehe und von Ann Camp ausgebildet bin – sie gehört zu den einflussreichsten Lehrkräften der letzten fünfzig Jahre – spricht in Ermangelung eines besseren Begriffs von der ‹Johnstonian Tradition›; so benannt nach dem großen Pionier Edward Johnston, charakteristisch im Hinblick auf ihre formalen Aspekte: Die Bildung lesbarer Buchstaben im Formzusammenhang. Oder mit Johnston: Das Schaffen erlesener Buchstaben und ihre gute Disposition (‘The making of beautiful letters and arranging them well’).


Die Anfertigung von Erinnerungsstücken, speziell von Memorialbüchern und ähnlichem, bedeute nach dem Zweiten Weltkrieg für Kalligrafen Aufträge und Lebensunterhalt, wenigstens bis zu einem gewissen Grad.

 

In der deutschen Tradition des Schreibens verhalten sich die Dinge indes komplexer. Wie im Norwegischen gibt es auch im Deutschen für die unterschiedliche Gegebenheiten Handschrift, Kalligrafie, Druckbuchstaben, Typographie ein einziges Wort: Schrift (norwegisch: skrift). Ein Hauptwort für die visuellen (und inhaltlichen) Aspekte des Buchstäblichen. So erklärt sich der Beziehungsreichtum der Aussage: Schrift kommt vom Schreiben, wie sie Rudolf Larisch formulierte, ins Englische übersetzbar mit: ‹Letters come from writing›.

 

Die deutsche Tradition des ‹Schrifthandwerks› begründen unter anderen Pioniere wie Rudolf Koch, von Larisch (Österreich) und Edward Johnstons Schülerin Anna Simons, die sein Buch „Writing, Illuminating and Lettering“ ins Deutsche übersetzte (Schreibschrift, Zierschrift und angewandte Schrift) Die Schriftgießerei Gebr. Klingspor, deren Nachlass das Klingspor Museum bewahrt, hat den Schrift-Standort Deutschland auf der Karte untermauert, und deutsche Schreiber und Schriftkünstler haben über die Jahrzehnte hinweg profunden Einfluß auf die internationale Schriftkunst ausgeübt.

 

Und nicht nur Schriftkünstler allgemein, sondern gerade auch exzellente Kalligrafen wie Ernst Schneidler ( der Lehrer von Rudolf Spemann), Hermann Zapf, Friedrich Poppl, Karlgeorg Hoefer, Werner Schneider (die Liste ist lang) sind in diversen Publikationen vorgestellt worden, bewundert von der Gemeinde ihrer Liebhaber.

 

 

Deutsche Schriftkünstler haben interdisziplinär gearbeitet, grenzüberschreitend zwischen Kalligraphie und Typographie, aber auch in so verschiedenen Bereichen wie Textilgestaltung, Drucken, Buch- und Schriftgestaltung. Das erinnert an William Morris, der, Jahrzehnte früher, in einer ähnlichen Bandbreite schöpferisch tätig war. Die englische „Arts &Crafts“-Bewegung hat zweifellos die „Klingspor-Schreiber“ wie das Bauhaus beeinflusst.

 

Eine beträchtliche Spannweite tut sich auf zwischen traditionellem und expressivem, experimentellem und formalistischem Ausdrucksvermögen. Und ungeachtet mancher Vergleichbarkeit zwischen ihren Portagonisten, besteht doch ein unverkennbares Spektrum; wie in der Literatur dieser Zeit auch, denkt man an Rilke, Musil, Canetti,Hesse, Robert Walser und viele andere.

Nachdem ich mich erstmals mit dem Werk von Rudo Spemann im Klingspor Museum konfrontiert sah, empfand ich die Notwendigkeit, bestimmte Aspekte dieser Form künstlerischen Schaffens neu zu bedenken. Die bestechende Einfachheit und der Grad des handwerklichen Vermögens, das seinen Schriftstücken innewohnt, ließ mich kritischer auf die gegenwärtige Kalligrafie schauen, wenigstens die, die sich der Oberflächlichkeit und der modischen Erscheinung hingibt.

 

Die Bibliothekarin des Klingspor Museums brachte eine Kassette nach der anderen, angefüllt mit von Spemann handgeschriebenen Büchern; geschrieben in kleinster Schrift, Hunderte von Seiten. Mit ihrem Studium verbrachte ich meine meiste Zeit dort. Einige waren in der Geschwindigkeit: ein Buch in einem Monat geschrieben. Die Ausführung derart kleiner Schrift (je nach Messweise nicht größer als 8° Punkt) ist eine Leistung, die wohl nur versteht, wer selbst versucht at, Buchstaben in dieser Form zu schreiben. Jede noch so kleine Unsicherheit und Vibration der Hand macht sich bemerkbar, jede minimale Unebenheit im Papier. Gelänge das Fliessen der Tusche nicht optimal, oder sonst eine kleinste Störung träte auf – das ganze Blatt wäre ruiniert.

 

In Buchform geschrieben, sind diese Schriftstücke schwer auszustellen und deswegen weitgehend unbekannt. Schrift im Verborgenen. Die Notwendigkeit, Geld zu verdienen muss ebenso außer Betracht bleiben, wie sonst irgendeine Ablenkung oder Störung, will man die Haltung hinter dieser Art zu schreiben verstehen. (Das erinnert an Rudolf Koch, der mitten in sein Schriftblatt zur Johannes-Offenbarung hinein eine Betrachtung über sein anstrengendes Schreiben und die Verlockung, ‹den ängstlichen Spießern die Hölle heiß (zu) machen› einflicht).

 

Man könnte versucht sein, Rudo Spemann mit Rudolf Koch zu vergleichen, aber das würde ihm meines Erachtens nicht gerecht. Kochs frühes, formal geschlossenes, in gleichmäßigen gotischen Lettern ausgeführtes Werk zeigt im Vergleich zum späteren experimentelleren Schreiben in raueren, ungleichmäßigeren Buchstaben, dann der Schrift Neuland und anderen, wie sich ein Bruch mit Tradition vollzieht. 

 

Das gilt so nicht für Rudo Spemann. Er bricht nicht mit der Tradition, er reift in ihr. Es mögen sich Spuren von Ernst Schneidlers Art zu schreiben in Spemanns Werk finden, indes ist die Anwendung der gotischen Kursive zu der Zeit weit verbreitet. Würden wir ihn als Traditionalisten bezeichnen, schmälerten wir den Einblick in sein Schaffen. Zumal seine späteren Skripturen – einige sind Glückwunschkarten, die er im russischen Gefangenenlager mit Zahnpasta schrieb – sehen sehr modern aus, geradezu japanisch anmutend mit ihrem fließenden, einfallsreichen Lineament, mit asymmetrischen Kompositionen, kontrastreich in Größe und Stil der Zeilen.


Farbe benutzt er ganz eingeschränkt, und er beschränkt sich auf bestimmte Schriftarten, nämlich die textura, die Fraktur, die Kursive (Cancelleresca), römische Capitalis, selten die Unzialis, und manchmal Mischformen. In den späteren Arbeiten sind einzelne Züge mit Feder oder Pinsel nachgezeichnet, um mehr Energie sichtbar zu machen. Alle seine Werke sind beherrscht von kontrolliertem, aber aktivem Ausnutzen des Raums. Zugleich möchte man ihn als „asketisch“

 charakterisieren, insofern vielleicht Edward Johnston verpflichtet. Dabei erinnert man sich an die Worte von Friedrich Poppl: Nur im reinen Kontrast von Schwarz und Weiß behauptet sich die unbestechliche Form.

Ich hoffe sehr, dass Rudo Spemann die internationale Würdigung erfährt, die er verdient. Er rangiert meiner Meinung nach unter den besten Schreibern des 20. Jahrhunderts. Es ist diese unangestrengte, asketische Gelöstheit in Rudo Spemanns Werk, die unsere volle Aufmerksamkeit verdient. Denn volle Aufmerksamkeit hat sie hervorgebracht.